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Der Imperator kam, lächelte und sagte nichts

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Ein Editorial von mafpd-Herausgeber Wolfgang Rogalski

[Magazin.Am-Finanzplatz.de, 20.06.2013] War was? Der Imperator hat seine Schuldigkeit getan, der Imperator kann gehen? Eine kafkaeske Burlesque am Brandenburger Tor?
Legt man den servilen Medienhype um den Obama-Besuch am 18./19. Juni 2013 – „Obama-Fieber“ – zu Grunde, dann hätte dort an diesem geschichtsträchtigen Ort etwas Wunderbares passieren müssen – z.B. die Ankündigung, dass die USA als Geste des guten Willens drei Viertel oder mehr ihres Arsenals an nuklearen Waffen abrüsten (bei rund 10.000 Gefechtsköpfen bliebe ja noch genug Abschreckungspotenzial übrig), um global eine Null-Lösung („global zero“) anzustreben. Obama hätte die kurzfristige Schließung des Gefangenenlagers in der Bahía de Guantánamo und die sofortige Gültigkeit rechtsstaatlicher Prinzipien für die dort Inhaftierten verkünden können. Er hätte sich für die Abschaffung der Sklaverei im Jahr 2013 (!) vor allem in Asien sowie für weltweite Mindeststandards der Lebensumstände (Zugang zu bezahlbaren Lebensmitteln, zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen sowie Bildung) stark machen können – übrigens auch im eigenen Land; die Bewohner der Slums und „Tent Cities“ in den USA wären sicher erfreut, so sie denn jemals von Obamas Rede Kenntnis bekommen hätten…
Was also bleibt von diesem hitzigen Tag? Wohl nur dies: Das Protektorat Deutschland wird sich voller Begeisterung der Regierenden in die Absegnung des Freihandelsabkommens USA-EU stürzen, damit einer weiteren Privatisierung aller Lebensbereiche (vor allem Privatisierung aller Vermögenswerte, aber Sozialisierung aller Schäden und Verbindlichkeiten) und Aushöhlung aller bewährten Standards der Sozialen Marktwirtschaft und hoheitlichen Verantwortung in hündischer Ergebenheit zustimmen. War noch was? Ach ja, „Prince Charming“ hat noch verbal die Regenbogenflagge gehisst – wenn das nicht progressiver Bekennermut ist, für den sich die Millionen an Kosten gelohnt haben; wir haben ja auch sonst keine Probleme.

Foto: Dirk Pinnow

Foto: Dirk Pinnow

Wolfgang Rogalski: Eine kafkaeske Burlesque am Brandenburger Tor!

Wer Obamas Auftritt in den Kontext historisch zu nennender Besuche von US-Präsidenten stellt, beleidigt insbesondere John F. Kennedy und Ronald Reagan. Diese waren sehr wohl Persönlichkeiten mit vielen Schwächen, Ecken und Kanten – aber sie waren lernfähig und trotz mancher Irritation des Kalten Krieges schließlich um Verständigung und Abrüstung bemüht. Ihre legendären Redepassagen, „Two thousand years ago the proudest boast was ‚Civis Romanus sum‘. Today, in the world of freedom, the proudest boast is ‚Ich bin ein Berliner‘. All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words ,Ich bin ein Berliner!’“ und „General Secretary Gorbachev, if you seek peace, if you seek prosperity for the Soviet Union and Eastern Europe, if you seek liberalization: Come here to this gate! Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!“, werden mit Recht in Ehren gehalten, denn damals kostete ein Bekenntnis noch etwas. Sicher, Politik ist die „Kunst des Machbaren“ und kein Wunschkonzert; vor dem glücklichen Verlauf der Geschichte insbesondere der Jahre 1989/1990 aber bleiben diese beiden Präsidenten-Besuche in Berlin in dauerhaft beispielgebender Erinnerung, weil Begriffe wie „Freiheit“ oder „Demokratie“ angesichts der durch Mauer und Stacheldraht geteilten deutschen Hauptstadt keine hohlen Phrasen waren, sondern für echte Werte standen – für die Berliner im Westteil waren sie ständig bedroht und mussten verteidigt werden, für die Berliner im Ostteil schienen sie noch unerreichbar fern.
Wenn Obama aber am Brandenburger Tor vor handverlesenem Publikum mit einem zuvor nie gekannten Bohei von Werten spricht, quasi in einem Sperrgebiet, mit Tausenden Polizisten im Einsatz, Hubschraubern am Himmel, Scharfschützen auf den Dächern, Ausgrenzung des „gemeinen Volks“, wenn ein Theater mit nordkoreanisch anmutendem Flair abgespult wird, das jedem einstigen Sowjetbonzen Feuchte Träume bereiten würde, dann ist etwas faul im Staate BRD. Wofür haben dann eigentlich die Piloten der Berliner Luftbrücke ihr Leben riskiert und die im damaligen US-Sektor stationierten GIs mit ihren Familien sich in die Gefahr begeben, am potenziellen „Ground Zero“ des Dritten Weltkriegs für westliche Werte einzustehen?
„Ach, wissen Se, ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte“, soll der am Brandenburger Tor lebende Maler Max Liebermann angesichts der aufziehenden NS-Kohorten 1933 geäußert haben. Damals durfte man als Anwohner sein Fenster wohl noch öffnen… Was ich damit sagen will: Wer an diesem geschichtlich aufgeladenen Ort den Mund weit aufmacht und eine martialische Kulisse bietet, muss sich nicht wundern, wenn er scharf kritisiert wird – war denn nicht auch die Kritikfähigkeit ein Wert, den Deutschland nach zwei Dikaturen im letzten Jahrhundert annehmen sollte? Warum also jetzt diese Bodenkriecherei und schon wieder dieser eklige deutsche vorauseilende Gehorsam?
Aber lassen wir das – genießen wir das schöne Sommerwetter und legen uns etwas Leckeres auf den Grill, solange unsere Logistikketten noch funktionieren und noch Euros akzeptiert werden. Obamas Besuch war ein netter Versuch, aber er hat sich selbst zur „Lame Duck“ gemacht – vergessen wir ihn und hoffen nur, dass bis zum Ende seiner Amtszeit nicht noch weitere Kriege begonnen und westliche Werte pervertiert werden!

Weitere Informationen zum Thema:

GLOBAL ZERO
A WORLD WITHOUT NUCLEAR WEAPONS

oliverjanich.de, 19.06.2013
Die Rede, die John F. Kennedys Schicksal besiegelte


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